Wie muss das Wohnhochhaus der kommenden Jahre aussehen, damit es für die Bewohner, für die Städte und für die Planer ein Erfolg werden kann? Diese Frage stellten wir am 7. und 8. Dezember auf dem Bauwelt-Kongress 2017 zum Thema „Zukunft Wohnhochhaus?“. Wir hatten 20 Referenten und Podiumsgäste ins Berliner Kosmos geladen – Architekten, Stadtplaner, Bauherren, Vertreter der Bauindustrie, einen Soziologen, eine Künstlerin, einen Architekturkritiker –, um mögliche Antworten zu finden. Die alles entscheidende Frage, wie sich das Wohnhochhaus in unsere gewachsenen Städte integrieren lässt, wurde kontrovers diskutiert.
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Hätte jemand vor, sagen wir, zweieinhalb Jahren prophezeit, dass 2017 für uns zu einem regelrechten Wohnhochhaus-Jahr würde – mit zwei Bauwelt-Ausgaben (Hefte 10 und 17), einer Stadtbauwelt (Heft 19) und einem zweitägigen Kongress –, wir hätten zumindest ungläubig den Kopf geschüttelt oder, viel wahrscheinlicher, den „Propheten“ ausgelacht.
Jahrelang, eigentlich jahrzehntelang waren Wohnhochhäuser hierzulande ja überhaupt kein Thema. Viel zu kontaminiert waren sie durch die Fehler, die – da waren sich alle einig – in der Vergangenheit im Zusammenhang mit ihnen gemacht wurden. Bei aktuellen Wohnhochhäusern dachten wir ausschließlich an Massenwohnungsbau in den fernen Megacities dieser Welt, vor allem in Asien, in einer Dichte, die uns beängstigt, oder aber an völlig überdrehte Super-Luxusprojekte in New York. Beide Varianten konnten keinesfalls Vorbilder fürs Wohnen in der Europäischen Stadt sein.
Doch mit einem Mal landeten immer mehr Projekte für Wohnhochhäuser in europäischen Nachbarländern, schließlich auch in Deutschland auf den Tischen der Redaktion. Die Rückkehr des Wohnhochhauses ereilte uns völlig unerwartet – im Gefolge der zunehmenden Wohnungsknappheit in unseren Schwarmstädten. Und nun diskutierten wir tatsächlich wieder ernsthaft darüber, ob Wohnhochhäuser eine Möglichkeit sein können, unsere Städte zu verdichten, um dringend benötigten Wohnraum zu schaffen? Bald diskutierten wir nicht mehr darüber, ob es neue Wohnhochhäuser geben solle, sondern wie diese beschaffen sein müssten. Wie hoch müssten oder dürften sie sein, wie würde man die nötige Mischung hinbekommen? Welche Architekten wären in der Lage, so etwas zu bauen. Die Idee eines neuen europäischen Wohnhochhauses, das die Fehler der Vergangenheit vermeidet – die begann uns zu interessieren.
In der Redaktion waren wir durchaus unsicher, ob uns da nicht ein Thema untergekommen war, das vielleicht (noch) gar keines ist. Das meiste, worüber wir berichten konnten, befand sich ja im Status einer Absichtserklärung. Vergleichsweise wenig tatsächlich Realisiertes konnten wir zeigen und diskutieren. Aber überall gab es sie eben mit einem Mal wieder: Wohnhochhausprojekte. Und in den großen Städten schien sich auch die Stadtplanung mit dem Thema neuer Hochhäuser zu beschäftigen, beschäftigen zu müssen. Aber auch von dort gab es wenig Greifbares. Als wir für die Stadtbauwelt-Ausgabe bei den Planungsämtern nach aktuellen Hochhausleitbildern fragten, kam von fast überall die Antwort: „Wir arbeiten daran, können aber noch nichts vorzeigen. Sie kommen etwas zu früh.“
Und natürlich gab es Kritik nach unseren Veröffentlichungen. Wir würden den Investoren und ihrer Städteverschandelung den Weg bereiten, einer neuen Maßstabslosigkeit in der Architektur und im Städtebau das Wort reden, die doch längst als dysfunktional, ja als unmenschlich erkannt worden sei. Verrat an der Idee der Europäischen Stadt! Die Meinungen gingen auch in der Redaktion auseinander.
Was bei allen Diskussionen über das Wohnhochhaus auffiel: Es ist ein Thema, bei dem über die Maßen Gefühle die Grundlage der Argumentation bilden. Schwierig in einer Fachdiskussion. Wie würde man damit auf einem Kongress umgehen, der die Frage nach dem Wohnhochhaus stellt. Und eine Frage blieb es bis zum Schluss: „Zukunft Wohnhochhaus?“ haben wir die Veranstaltung betitelt. Das Fragezeichen hinter Zukunft und Wohnhochhaus war uns wichtig – stand es doch für alle Unsicherheiten, ja letztlich Fragwürdigkeiten zukünftigen Wohnens in der Höhe. Doch wir fanden, dass es von architektonischen und städtebaulichen über wirtschaftliche bis zu sozialen Aspekten genug Diskussionsstoff für einen Kongress gab.
Wir groß das Interesse an den Fragen zur Zukunft des Wohnhochhauses, die wir mit unseren insgesamt 20 Referenten und Podiumsgästen debattierten, tatsächlich war – das hat uns dann, ehrlich gesagt, überrascht. Der Bauwelt-Kongress war restlos ausgebucht. Das Berliner Kosmos, das wir als Veranstaltungsort gewählt hatten, platzte aus allen Nähten. Relevanz scheinen die aufgeworfenen Fragen auch weit über die Fachwelt hinaus zu haben. Die Tageszeitungen „Die Welt“, „Berliner Zeitung“ und „Tagesspiegel“ nutzten Berichte über den Bauwelt-Kongress, um ihren Lesern die Komplexität des Themas näherzubringen.
Tatsächlich haben die beiden Kongresstage dazu beigetragen, klarer zu sehen, wohin die Reise beim Wohnen in der Höhe gehen könnte – zumindest gehen sollte. Dass die Vertikale ungebrochen reizvoll für Architekten ist, verwundert nicht. Ob Entwürfe, wie Ole Scheeren, Dominique Perrault oder Gijs Rikken von MVRDV sie vorstellten, sich aber jemals außerhalb des Luxussegments realisieren lassen? Alle Referenten schienen sich darüber einig zu sein, dass zukünftige Hochhäuser eigentlich keine reinen Wohnhochhäuser sein dürften, sondern gemischte „vertikale Quartiere“. Ob das auch so umgesetzt wird, wenn um jeden Euro Baukosten gekämpft werden muss? Auch das Thema „Grünes Hochhaus“ scheint eine Konstante in der Diskussion zu bleiben: Hoch oben über der Stadt wohnen, aber mit einer Art eigenem Garten vor der Nase. Auf raffinierte Weise tatsächlich realisieren konnte das kürzlich Andreas Bründler in Bern.
Der Soziologe Heinz Bude leitete überzeugend her, dass die neoliberale Stimmung in der Gesellschaft, der wir das eine oder andere obszöne Projekt verdanken, eigentlich vorbei ist, das zukünftige Wohnhochhaus also ein integratives sein müsse. Doch lässt sich in puncto sozialer Mischung in Wohnhochhäusern wirklich mehr erreichen als die Mischung verschiedener Lebensentwürfe (vom Singlehaushalt bis zur Familie), die aber, so unterschiedlich sie scheinen, im Grunde doch derselben sozialen Schicht entstammen? Das geht nur, wenn der Staat das subventioniert, so Markus Allmann, der schonungslos über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des „Produkts Wohnhochhaus“ berichtete. Wer dachte (oder hoffte), Hochhausentwicklungspläne seien noch so etwas wie Stadtgestaltungspläne, wurde von Beat Aeberhard, der das Baseler Leitbild, und Regula Lüscher, die den Fahrplan für das Berliner Leitbild vorstellte, eines Besseren belehrt. Es geht um Richtlinien, Qualitätssicherung, Kompensationen. Die Zeiten, in denen ein Planungsamt eine Stadtkrone ersann, sind vorbei.
(Vorläufiges) Fazit: Das grundsätzliche Fragezeichen hinter „Zukunft Wohnhochhaus?“ kann man nach dem Bauwelt-Kongress getrost weglassen. Viele Unsicherheiten aber bleiben. Und ob man hinter „Zukunft Wohnhochhaus“ irgendwann, im baugeschichtlichen Rückblick vielleicht, sogar ein Ausrufezeichen setzen kann?