Digitale Stadt – Bauwelt Kongress 2018

Was müssen Architekten und Planer tun, damit der digitale Wandel unsere Städte nicht nur verändert, sondern sie verbessert? Darüber diskutierten 18 Referenten mit rund 600 Besuchern auf dem Bauwelt-Kongress in der Berliner Akademie der Künste

Text: Friedrich, Jan, Berlin

„Wer von Ihnen war schon einmal in einer Smart City?“ Niemand meldete sich auf Jörg Stollmanns Frage. Ja, ihm selbst sei es auch noch nicht gelungen, eine Smart City zu besuchen, fuhr Stollmann fort. Obwohl er mit seinem Lehrstuhl an der TU Berlin ein Smart-City-Forschungsprojekt betreue und schon mehrere Male in eine der bekanntesten „Smart Cities“ gereist sei, nach Songdo in Süd-Korea. Die Fotos aus Songdo, die er präsentierte, legten nahe, dass vieles, das dort smart sein soll, nicht funktioniert. Dass das Etikett Smart City vor allem Marketinginstrument der Stadtentwicklung ist und ein Bedürfnis der Bewohner nach Sicherheit und Komfort adressiert: ein Aufstiegsversprechen. Überhaupt, wie bezeichnet man die umfassend digital vernetzte Stadt denn nun? Als Digitale Stadt? Als Smart City? Als Ubiquitous City? Mal scheint der eine Begriff gebräuchlicher zu sein, mal der andere. Die Begriffe sind unscharf, weil das Phänomen selbst unscharf ist. Der Bauwelt-Kongress „Digitale Stadt“ versuchte, den Blick auf das Phänomen zu schärfen: Welchen Einfluss haben Architektur und Städtebau auf die Digitale Stadt? Und umgekehrt: Wie beeinflusst die Digitalisierung Architektur und Städtebau?

Assaf Biderman arbeitet mit seinem Senseable City Lab am MIT in Boston daran, mithilfe von Big Data einem der größten Probleme unserer Städte zu Leibe zu rücken: dem Verkehr. Fünfzig Prozent aller Taxis in New York führen leer durch die Gegend, so Biderman. Die Bostoner Forscher wollen die Bewegungsdaten der New Yorker dazu nutzen, die Fahrten sinnvoll zu kombinieren. 50 Prozent weniger Taxis auf den Straßen würden einen spürbaren Unterschied machen. Auch an der TU Braunschweig werden Verkehrsströme untersucht, wird mithilfe digitaler Werkzeuge Raumwahrnehmung kartiert. „Stadt der Zukunft“ heißt das Forschungsprojekt, an dem neben dem von Vanessa Miriam Carlow geleiteten Institut für nachhaltigen Urbanismus fünf weitere Lehrstühle beteiligt sind. Carlow sieht in digitalem Datenmaterial vor allem ein Instrument, um mit anderen Disziplinen, auch solchen aus den exakten Wissenschaften, präzise kommunizieren zu können: die Voraussetzung für die transdisziplinäre Zusammenarbeit im Städtebau. Wichtig dabei sei, so Carlow, dass die Datenhoheit bei der Öffentlichkeit bleibe.

Die Daten-Sammelwut privater Konzerne wie Amazon, Apple, Microsoft, Cisco und Co ist der Auslöser der größten Ängste im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Die sind durchaus berechtigt, wenn man Evgeny Morozov, Publizist und Autor von „Smarte neue Welt: Digitale Technik und die Freiheit des Menschen“, und seiner Analyse der Geschäftspraktiken etwa von Uber zuhört. Die Infrastruktur der Überwachung, die durch Big Data geschaffen werde, sei eine handfeste Bedrohung unserer Demokratie, ermögliche die digitale Vernetzung doch eine soziale Kontrolle wie in der Stadt des 16. und 17. Jahrhunderts, als jeder noch jeden kannte. Für Francesca Bria, die Digitalisierungsbeauftragte der Stadt Barcelona, ist klar, dass die große Frage des 21. Jahrhunderts lautet: Wer hat die Kontrolle über die Daten? Die Unternehmen? Der Staat? Die Bürger selbst? Und das sei eben keine technische Frage, sondern eine politische. Wenn man über die Smart City diskutiere, müsse man erst einmal die Frage stellen, wozu wir die Smart City, wozu wir all die Daten, die sich sammeln lassen, überhaupt brauchen. Brias Antwort ist eindeutig: Für die Menschen. Um die großen sozialen und ökologischen Probleme zu lösen.

Was Architekten mithilfe digitaler Technologien dringend tun müssen, ist für Werner Sobek ebenso eindeutig: Wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, die Pariser Klimaschutzziele um 6 bis 8 Grad nach oben korrigieren zu müssen, müssten sie emissions- und abfallfreie Gebäude und Stadtquartiere bauen, dabei fossile Energie zu verbrauchen, sei tabu. Wolf D. Prix stellte die Frage, ob der digitale Wandel Architektur, wie wir sie heute kennen, nicht obsolet mache. Wenn alle immer nur noch auf den Bildschirm ihres Smartphones oder ihres Tablets schauten, gehe die Fähigkeit zur Wahrnehmung von realem Raum vermutlich verloren.

Für Kjetil Thorsen hingegen nimmt die Wichtigkeit des physischen Raums sogar noch zu. Denn der physische Raum beeinflusse die Auswahl aus dem immer größer werdenden Angebot an virtuellen Möglichkeiten. Es sei wie mit einem Buch: Das könne man im Auto, im Bett oder in der Badewanne lesen. Aber man lese es anders, je nachdem wo man sich gerade befinde. Oder wähle an einem anderen Ort vielleicht sogar ein anderes – ein besseres? – Buch aus.

Dorte Mandrup sieht die Architektur gar in der Pflicht, gegen die zunehmende Vereinsamung in der digitalen Gesellschaft anzubauen. Es gehe vor allem darum, sich Gedanken über Programme zu machen. Etwa, indem man, statt in den Wohnungen einen Waschmaschinenanschluss vorzusehen, im Erdgeschoss des Hauses einen Raum anbiete, in den die Bewohner hinuntergehen müssen, um dort zu waschen und ihre Wäsche aufzuhängen. Man müsse sich in Zukunft immer häufiger entscheiden: Will man noch mehr Bequemlichkeit, oder will man erreichen, dass die Menschen sich weiterhin real begegnen?