Architektur und Städtebau sind zurzeit wie nie gefordert, ihre Grundlagen zu überdenken. Die Bauten vor unserer Haustür sind aber keine Knetmasse, die sich nach Bedarf umformen lässt. Wir brauchen deshalb eine robuste Architektur und eine robuste Stadt – so formulierten wir das Leitmotiv unseres Kongresses am 3. und 4. Dezember 2020.
Text: Geipel, Kaye, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin
Worüber sprechen wir eigentlich, wenn wir robust sagen? Der Blick ins Synonymwörterbuch zeigt die Bandbreite: Beständig, kräftig, einfach, unkompliziert, stabil, belastbar, fest, haltbar, strapazierfähig, unempfindlich, langlebig, widerstandsfähig, hartnäckig und anpassungsfähig finden sich dort als Entsprechungen. Was genau robust in der Architektur und im Städtebau heißen kann, darum kreisten die Vorträge und Diskussionsrunden des Bauwelt-Kongresses 2020. Der musste, wie so viele Veranstaltungen im vergangenen Jahr, erstmals rein digital stattfinden.
Oft hilft es ja, wenn man sich an einer Definition versucht, erst einmal zu definieren, was dieser Definition nicht entspricht. Thomas Auer, Professor für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen an der TU München, tat das, als er benannte, was mit Sicherheit nicht robust ist: die enorme Aufrüstung, die man in der Vergangenheit betrieben hat, um Gebäude mittels Regelungstechnik effizienter und klimagerechter zu machen. Robustheit hier als Prinzip wiedereinzuführen, bedeute also: Häuser einfacher, unempfindlicher, widerstandsfähiger machen.
Denkt man im Zusammenhang mit Materialien an robust, kommt einem unwillkürlich der Beton in den Sinn – das stabile, belastbare, langlebige Baumaterial. Aber leider auch mit schlechter CO2-Bilanz und schlechten Dämmeigenschaften. Maik Schlaich forscht mit seinem Lehrstuhl am Institut für Bauingenieurwesen der TU Berlin an Alternativen. Infraleichtbeton, eine Betonmischung mit hervorragenden Dämmeigenschaften, ist eine vielversprechende Lösung. Anna Heringer, die seit 15 Jahren in Bangladesch vor allem mit dem dort gängigen Baumaterial Lehm baut, propagiert: Lehm müsse dringend ins Repertoire auch der industrialisierten Welt zurückkehren. Lehm gebe es überall, sei also die lokale Ressource, und er sei problemlos und zu einhundert Prozent recycelbar. Für Peter van Assche, der in Amsterdam einen Forschungsstuhl für „Architecture and Circular Thinking“ innehat, ist der Übergang in die Kreislaufwirtschaft entscheidend. Das bedinge eine völlig neue Art zu denken, zu planen, zu konstruieren. Wie das gehen kann, hat sein Büro SLA gezeigt: Der Pavillon der Niederländischen Designwoche in Eindhoven 2017 bestand ausschließlich aus geborgten Materialen, die nach der Demontage unversehrt zurückgegeben wurden.
Was macht, jenseits der Materialwahl, architektonische und städtebauliche Konzepte so widerstands- und anpassungsfähig, dass ihr Kern in der Vielstimmigkeit der immer größer werdenden Zahl von Beteiligten nichtverlorengeht? Alle Akteure – auch die Architekten – müssten zunächst einmal verstehen, dass sie nicht die alleinige Kompetenz hätten, sondern Teil eines Netzwerks seien, sagt Jette Cathrin Hopp vom norwegischen Büro Snøhetta. Es gehe um Hierarchieabbau, um Horizontalität in der Zusammenarbeit, aus der sich ganz andere Herangehensweisen an einen Entwurf ergäben. Vielleicht markieren solche auf den ersten Blick unscheinbare Dinge wie ein Fahrradabstellraum, der sich, mit einem Waschbecken und einem großen Falttor ausgestattet, auch als Veranstaltungsraum nutzen lässt, auf den Verena von Beckerath in einem Wohnungsbau ihres Büros hinwies, diese Veränderungen. Vielleicht, sagt sie, bestehe ein Schritt zu mehr Robustheit darin, sich künftige Nutzungen vorzustellen.
Mehr selbstkritische Einsicht – wir alle, Architekten und Stadtplaner, seien ein prägender Teil der aktuellen Krise – forderte Ricky Burdett, der von London aus zugeschaltet war. Dies könne der Umsetzung einer robusten Architektur und einer nachhaltigen Stadt enormen Auftrieb geben. Wie das? Architekten sollten den projektbezogenen Lösungsoptimismus ein Stück weit kippen und sich mehr mit dem Beharrungsvermögen der Systeme beschäftigen. Das gilt für die Materialien – Thomas Auer konstatierte das Versagen einer gläsernen Architektur – wie für die Stadt als Ganzes. Wenn wir uns im planerischen Alltag nicht mehr mit „land use politics“ auseinandersetzen, so Burdett, könnten wir die Idee städtischer Kreislaufwirtschaft gleich vergessen. Allerdings sieht er die europäische Stadtstruktur grundsätzlich gut vorbereitet für Veränderung: Kleinteilige Typologie, dichte Zentren, Straßenlevel der Häuser und das Prinzip der 15-Minuten-Stadt seien Bausteine der Zukunft.
Die 15-Minuten-Stadt wurde dann auch im Panel „Robuste Infrastrukturen“ zum vielzitierten Hebel, den man beherzter einsetzen müsse. Anne Hidalgo, die Pariser Bürgermeisterin, hat es vorgemacht, lebenswichtig wird dieses Prinzip jetzt in den Speckgürteln der Ballungszentren. Wie aber steuert man um? Die Stadt ist gebaut, die Straßenstruktur ebenfalls, woher soll das Wendewunder bloß kommen? Die Antwort von Henk Ovink, Chefberater bei der UNO und einer der besten Kenner der „blauen Systeme“ war schlicht: „Business as usual is lethal“, ist tödlich. Gleichzeitig machte Ovink Mut, nicht überall gleich den ganz großen Umbruch zu erwarten. Er beobachte weltweit die Kippmomente kleiner Initiativen und Aktivistengruppen auf der Suche nach der klimagerechten Stadt, die sich mit etwas Verzögerung auch in die lokale Baugesetzgebung einschrieben.
Dem öffentlichen Raum kommt bei dieser Transformation hin zu mehr Robustheit eine entscheidende Rolle zu. Für die Landschaftsarchitektin Maren Brakebusch greift die aktuell sehr populäre Forderung nach mehr städtischem Grün viel zu kurz. Die Idee der Natur, also das Konzept grüner Kreisläufe, müsse in den Bildungsprozessen der heutigen Stadt selbst verankert werden. Iris Reuther, Stadtbaudirektorin von Bremen, griff in ihrem Vortrag die Bedeutung des öffentlichen Raums von einer anderen Seite auf und forderte ein Umdenken bei den zunehmend knapperen Erschließungsräumen – gerade im neuen Wohnungsbau.
In der Schlussdebatte zwischen der Pariser Architektin Lina Ghotmeh und dem in Zürich unterrichtenden Londoner Architekten Adam Caruso stellte dieser die Frage: „What is it worth?“ – Was ist uns die robuste Stadt wirklich wert? Die Antwort darauf wird entscheiden, wieviel sich 2021 tatsächlich ändern wird.